Stefan Gritsch
Silberstreifen
27. Oktober bis 25. Januar 2025
Es ist bei weitem nicht alles gemalt, was der Maler aus seiner Werkstatt an die Wand und auf den Tisch entlässt. Es ist geschichtet, geklebt, geschnitten, geschliffen, gepresst. Malerei hat sich selbst zum Gegenstand. Acryl will bewegt sein und Marmorierung zeigen, wird in Bücher gegossen oder verschwistert sich im Handschmeichler mit Seife oder Briefbeschwerer. Dass ein durch und durch handwerklicher Zugriff aufs Medium ‹Bild› an Konventionen rührt, hat mit uns zu tun, mit Sehnsucht und Erinnerung: Drei Öffnungen in einer kopfgrossen Farbhaut machen ein Tableau zum Gesicht. Ein sandbraunes Unten und ein Oben in Weiss lassen uns spontan von «Landschaft» reden. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir, wie die Farbmischung von SUDAN (danach) oder DARFUR (beide: 2024) sich dem Ton der nackten Leinwand nähert, während sie Dünen zieht über die Naht zwischen Himmel und Land.
Schon seit Jahren entnimmt Stefan Gritsch der Tageszeitung jene kleinen Karten, die Katastrophen und Konflikte geografisch genauer verorten helfen. Ausgeschnitten, kartoniert und gescannt, dann digital von Schriftzügen befreit, projiziert er Tigray auf die Leinwand, Gaza oder Bergkarabach (alle: 2024). In mehrfacher Drehung bilden Grenzen Muster aus. Städte, vielleicht Brandherde geben proportional zu ihrer Einwohner- oder Opferzahl kleinere oder grössere Scheiben hinzu. In der Mitte von Wolkenblau bildet Gazas Mehrfachsilhouette einen Stern. Warmes Gelb lässt Fluchtwege ziellos im Bildfeld auslaufen: dünne Blutgefässe, auswachsend zur Distel im Sand der Sahelzone. Ob der Künstler politisch motiviert einen Krisenherd zur War Flower verwandle? Stefan Gritsch winkt ab – es sei eine Spielerei. Und korrigiert sich gleich selbst: «Spielerei ist natürlich eine Beschönigung. Ich spiele mit der Ambivalenz.» Schliesslich kann kein Kunstwerk glaubhaft humanitäre Katastrophen vermessen. Doch speichert der Malprozess eine Sorgfalt, die sich allem Kriegsgebaren widersetzt, bis die Betrachtungszeit eines Mandalas die Unglückszonen dem Vergessen entreisst. Glühend muten Ornamente unserem Sehen den Ernst der Lage zu.
Stefan Gritsch lässt sich selbst nicht aus dem Spiel. NOT hat er zu Selbstporträt ernannt, auch ALL und YOU (alle: 2020). Der Abriss von Farbe in klaren Lettern legt die Leinwand frei, spricht von Verletzung und Verschwinden: Bilder sind Spiegelungen. Sie wenden sich dem Elementaren zu. Sie buchstabieren Behauptung und Widerspruch, zerlegen in der Maske alle Selbstverständlichkeit des «Du» – und tun dabei so, als wäre ihr Thema nichts weiter als Malerei. ‹Ich genüge mir selbst›, sagt der aus bunten Fäden zum Grau verwobene Malgrund, ‹ich bin der Träger und bin das Motiv, mein eigener Rapport›: So einfach ist das und so verworren und schlau. Und die Knochen an der Wand? Es sind Trophäen aus dem Suppenteller, ausgekocht, mit Karton verschlossen und mit Farbspänen gefüllt, mit Gaze überzogen und gedeckelt mit Acryl, bis ein letzter Schliff die dunkle Farbglut entzündet.
Isabel Zürcher, im September 2024
Fotos Raum: Ariel Huber, Lausanne
Fotos Werke: Brigitte Plüss Medici, Aarau